Der Wandel im B2B Marketing wird sich 2026 weiter beschleunigen. Sarah Wilhelm, CEO von W4, spricht im Interview darüber, was sich bereits heute abzeichnet und wie Unternehmen ihre Marketingstrategie so ausrichten können, dass sie auch in den kommenden Jahren zuverlässig Wirkung erzielt.
1. Wenn ihr sagt, klassisches Inbound Marketing liegt im Sterben, was meint ihr genau damit?
Wenn wir sagen, dass klassisches Inbound Marketing im Sterben liegt, dann meinen wir die Art, wie Inbound in vielen B2B-Unternehmen in den letzten zehn, fünfzehn Jahren umgesetzt wurde.
Das typische Bild sieht so aus: Es werden E-Books, Whitepaper und Blogartikel produziert, ein Teil davon wird hinter Formularen versteckt, Leads werden eingesammelt, mit standardisierten Nurturing-Strecken „aufgewärmt“ und irgendwann als MQL an den Vertrieb übergeben. Dahinter steckt ein klarer, aber sehr starrer Funnel: Aufmerksamkeit, Lead, Nurturing, Abschluss.’
Genau dieses Modell verliert gerade massiv an Wirkung. Wir sehen das in mehreren Punkten:
- Die Anzahl der Leads sagt immer weniger über echte Verkaufschancen aus.
- Die Qualität der Kontakte sinkt, während die Kosten pro Lead steigen.
- Marketing meldet Erfolge, der Vertrieb stuft viele dieser Leads als „noch nicht so weit“ oder „nicht passend“ ein.
- Zwischen erstem Kontakt und tatsächlicher Opportunity liegen oft viele Monate, ohne dass klar ist, was dazwischen wirklich funktioniert.
Parallel dazu hat sich das Umfeld komplett verändert: Kaufentscheidungen werden von Teams getroffen, Menschen informieren sich weitgehend selbst und erwarten Geschwindigkeit, Transparenz und echte Hilfe.
In diesem Umfeld ist das klassische Inbound-Setup faktisch ein Auslaufmodell. Die Grundidee von Inbound – gefunden zu werden, weil man echten Mehrwert bietet – bleibt richtig. Aber die alten Mechaniken aus der Vor-KI- und Vor-„Always-on“-Zeit tragen nicht mehr. Genau deshalb sagen wir: Klassisches Inbound Marketing liegt im Sterben. Und Unternehmen brauchen einen neuen Ansatz, der zu dieser Realität passt.
2. Was hat sich im B2B Kaufverhalten am stärksten verändert?
Ich würde vor allem drei Dinge nennen.
Erstens: Früher hat jemand relativ früh ein Formular ausgefüllt, eine Broschüre bestellt oder direkt angerufen und sich dann Schritt für Schritt informieren lassen. Heute läuft ein großer Teil dieser Reise im Hintergrund: Menschen googeln, lesen Vergleiche, schauen Videos, sprechen intern im Team darüber und holen sich Meinungen im Netzwerk. Manchmal nutzen sie sogar schon KI Tools, um Informationen zu sortieren. Wenn sie dann das erste Mal ein Formular ausfüllen oder eine Demo anfragen, haben sie intern oft schon Favoriten.
Zweitens: Es gibt kaum noch den einen Entscheider. In vielen Fällen sitzt ein ganzes Buying Team am Tisch, also Fachbereich, IT, Einkauf, Management. Diese Personen haben unterschiedliche Fragen und Risiken im Kopf. Ein einzelner Lead mit einer standardisierten Nurturing Strecke bildet diese Realität einfach nicht mehr ab.
Drittens: Die Erwartungen an Tempo und Relevanz sind deutlich gestiegen. Informationen sollen sofort zugänglich sein, klar, vergleichbar und möglichst konkret auf die eigene Situation zugeschnitten. Wer langsam reagiert oder nur generische Inhalte liefert, verliert sehr schnell an Vertrauen.
Unterm Strich heisst das: Kaufprozesse sind dynamischer, verteilter und informierter geworden, als es das klassische Inbound Modell ursprünglich vorgesehen hat. Und genau darin liegt der Spannungsbogen, über den wir sprechen.
3. Welche Probleme sehen Unternehmen, die zu lange am alten Inbound Modell festhalten?
Was wir häufig sehen, ist so eine Art Dauerstress mit wenig echtem Fortschritt. Unternehmen investieren viel in Content, Kampagnen und Tools, aber am Ende bleibt das Gefühl: Da bewegt sich extrem viel, nur beim Umsatz merkt man es kaum. Die Datenbank wird voller, die Reportings sehen gut aus, aber die Zahl der wirklich vielversprechenden Gespräche steigt nicht im gleichen Mass.
Ein anderes typisches Muster ist Reibung zwischen Marketing und Vertrieb. Marketing zeigt stolz Zahlen zu Traffic, Downloads und neuen Kontakten, während der Vertrieb erlebt, dass viele dieser Leads entweder gar nicht zur Zielgruppe passen oder noch weit weg von einer konkreten Kaufentscheidung sind. Auf dem Papier wirkt die Performance stark, im Alltag fühlt sie sich für den Vertrieb aber wenig hilfreich an. Das führt schnell zu Diskussionen darüber, wer „schuld“ ist, statt dazu, gemeinsam das System zu hinterfragen.
Gleichzeitig steigen die Kosten schleichend an: Media, Content-Produktion, Personal, Tech-Stack. Wenn das Grundmodell aber das gleiche bleibt, sinkt die Effektivität pro investiertem Franken. Irgendwann kommt dann die Frage auf, ob Marketing überhaupt noch „funktioniert“. Und genau da wird es gefährlich, weil das Problem nicht Marketing an sich ist, sondern ein veraltetes Inbound-Modell in einer Umgebung, die sich längst weiterentwickelt hat.
4. Woran können Unternehmen konkret erkennen, dass ihr Inbound Ansatz nicht mehr funktioniert?
Ein guter Indikator ist, wenn die Zahlen auf dem Papier eigentlich „okay“ aussehen, aber sich das Ergebnis trotzdem nicht richtig anfühlt. Es gibt Leads, es gibt Traffic, es gibt Kampagnen, aber wenn man ehrlich hinschaut, kommt zu wenig qualifizierte Nachfrage dabei raus.
Konkret kann man auf ein paar Signale achten:
Ein erstes Warnzeichen ist, wenn die Anzahl der Leads steigt, die Conversion zu Opportunities aber stagniert oder sinkt. Dann sammelt das System zwar Kontakte ein, schafft es aber nicht, aus Interesse echte Verkaufschancen zu machen.
Ein zweites Signal ist ein immer höherer Cost per Lead, ohne dass die Qualität sichtbar besser wird. Wenn mehr Budget nötig ist, um die gleichen oder sogar schlechtere Ergebnisse zu erzielen, ist das ein Hinweis darauf, dass das Modell nicht mehr sauber zum Markt passt.
Auch der Umgang des Vertriebs mit Marketing-Leads sagt viel aus: Wenn ein grosser Teil der Kontakte gar nicht erst angerufen wird oder sehr schnell wieder „kalt“ in der Datenbank landet, ist das ein deutliches Zeichen, dass der Inbound-Ansatz an den Bedürfnissen der Vertriebsrealität vorbeigeht.
Und schliesslich sieht man es an der Zeitachse: Wenn zwischen erstem Kontakt und einer echten Opportunity sehr viel Zeit vergeht und niemand genau erklären kann, welche Massnahmen in dieser Phase wirklich Wirkung haben, dann arbeitet man eher mit einem Bauchgefühl-Funnel als mit einem belastbaren System. Spätestens dann lohnt es sich, den eigenen Inbound-Ansatz grundlegend zu hinterfragen.
5. Welche Rolle spielt KI in dieser Situation, eher als Problem oder als Lösung?
KI ist beides: Teil des Problems und Teil der Lösung.
Problematisch wird sie da, wo sie nur genutzt wird, um noch schneller noch mehr Content zu produzieren. Dann entsteht eine riesige Menge an ähnlichen Texten, Landingpages und Posts, die alle gleich klingen. Fürs Publikum sieht das nach Rauschen aus. In so einem Umfeld wird es für Unternehmen noch schwieriger, sich mit echten Inhalten und klarer Haltung durchzusetzen.
Spannend wird KI dort, wo sie hilft, Klarheit zu schaffen: Muster in Daten erkennen, Verhaltenssignale verstehen, Inhalte besser auf Zielgruppen und Phasen der Customer Journey zuschneiden, Routineaufgaben automatisieren. Dann erhöhst du nicht nur die Effizienz, sondern triffst auch bessere Entscheidungen. Wichtig ist aus unserer Sicht: KI ersetzt keine Strategie. Sie verstärkt das, was da ist. Wenn Zielbild, Positionierung und Kundenzentrierung klar sind, wird KI zum Hebel. Wenn das fehlt, macht sie das Chaos nur schneller.
6. Wie sieht aus eurer Sicht ein moderner Ansatz für Inbound und Lead Generation aus?
Für uns sieht modernes Inbound heute ganz anders aus als der klassische Funnel, mit dem viele begonnen haben. Wir denken nicht mehr in einer schönen, geraden Linie von Awareness bis Abschluss, sondern in einem laufenden Kreislauf: etwas in den Markt bringen, beobachten, was passiert, daraus lernen und nachjustieren.
Im Mittelpunkt steht nicht mehr die Anzahl der Leads, sondern die Wirkung auf Nachfrage und Umsatz.
Marketing und Vertrieb arbeiten an gemeinsamen Zielen und schauen auf dieselben Kennzahlen. Entscheidend ist also weniger, wie viele Formulare ausgefüllt wurden, sondern welche Aktivitäten zu guten Gesprächen und zu Deals führen.
Wichtig ist auch die Perspektive der Kaufenden. Ein moderner Ansatz orientiert sich an der tatsächlichen Customer Journey und an einem ganzen Buying Team. Eine Geschäftsführung, eine Fachleitung und eine IT haben unterschiedliche Fragen und Risiken im Kopf. Inhalte und Touchpoints sollten genau das abbilden und nicht nur die interne Produktlogik.
KI unterstützt uns dabei, diesen Ansatz skalierbar zu machen. Sie hilft zum Beispiel, Muster in Daten schneller zu erkennen, Content variabler zu machen oder Signale im Verhalten von Kontakten besser zu lesen. Der Kern bleibt aber menschlich: klare Hypothesen, sauberes Lernen, kontinuierliches Anpassen. Dieser Loop ist für uns das Herzstück eines modernen Ansatzes für Inbound und Lead Generation.
7. Wie sollte sich die Zusammenarbeit von Marketing und Vertrieb verändern, wenn Unternehmen sich von klassischen Inbound lösen wollen?
Ich glaube, der wichtigste Schritt ist, dass Marketing und Vertrieb aufhören, sich als zwei getrennte Welten zu sehen. Solange Marketing für Leads zuständig ist und Vertrieb für Abschlüsse, bleibt klassisches Inbound in den Köpfen hängen, egal wie modern die Kampagnen aussehen.
Aus unserer Sicht sollten beide Bereiche gemeinsam für Umsatz und Pipeline verantwortlich sein. Das heisst ganz praktisch: Es gibt gemeinsame Ziele, gemeinsame Kennzahlen und gemeinsame Gespräche darüber, was funktioniert und was nicht. Marketing berichtet dann nicht mehr nur über Traffic und Downloads, sondern darüber, welche Aktivitäten zu guten Gesprächen und Angeboten führen. Vertrieb liefert im Gegenzug konsequent zurück, welche Kontakte wirklich Potenzial haben und wo etwas gefehlt hat.
Wichtig ist auch, dass Vertrieb früher in den Prozess reinkommt und Marketing länger dabei bleibt. Also nicht: Marketing macht Kampagnen, übergibt Leads und ist raus. Sondern: Vertrieb bringt seine Erfahrung aus Kundengesprächen in die Planung der Inhalte ein und Marketing begleitet Deals, um zu sehen, welche Fragen unterwegs wirklich auftauchen.
Am Ende verändert sich die Zusammenarbeit dann von „wir liefern euch Leads“ zu „wir bauen gemeinsam ein System, das verlässlich Nachfrage erzeugt“. Wenn dieses Verständnis da ist, wird der Abschied vom klassischen Inbound plötzlich viel leichter.
8. Gibt es bestimmte Tools, die ihr nutzt, um euer Marketing und eure Lead Generierung zu verbessern?
Für uns ist ganz klar: Ohne die richtigen Tools wäre der Ansatz in der Form gar nicht umsetzbar. Die Basis ist ein zentrales CRM und eine Marketingplattform, auf der alle Daten aus Marketing und Vertrieb zusammenlaufen. Wir arbeiten hier sehr intensiv mit HubSpot, weil wir dort von Kampagnen über Automatisierung bis hin zu Reporting und Vertrieb vieles in einem System abbilden können. So sehen wir ziemlich genau, welche Aktivitäten am Ende wirklich auf Opportunities und Umsatz einzahlen.
Spannend wird HubSpot für uns auch beim Thema KI. Viele Dinge, die wir früher manuell gemacht haben, lassen sich heute direkt in HubSpot mit KI unterstützen, zum Beispiel beim Analysieren von Kontaktdaten, beim Erstellen von Varianten für unterschiedliche Zielgruppen oder beim Einschätzen, welche Kontakte und Deals im Moment Priorität haben sollten. Die Strategie und die Inhalte kommen weiterhin von uns und vom Kunden, aber KI in HubSpot hilft uns, schneller zu testen, sauberer auszuwerten und Entscheidungen auf eine bessere Datengrundlage zu stellen.
Darum herum gibt es natürlich weitere Bausteine. Wir verwenden zusätzliche Analysetools, um Verhalten auf der Website genauer zu verstehen, und eigene Automatisierungslösungen, wenn Prozesse über mehrere Systeme laufen. Entscheidend ist für uns aber nicht die Anzahl der Tools, sondern wie gut sie zusammenspielen. Ein schlanker, sauber integrierter Stack, den die Teams wirklich nutzen, bringt mehr als zehn Einzellösungen nebeneinander. HubSpot ist dabei der Kern, auf den wir den Rest aufbauen.
9. Zum Abschluss, was ist Ihr wichtigster Rat an Marketing-Entscheider für die kommenden Monate?
Aus unserer Sicht ist das Wichtigste, wirklich anzuerkennen, dass das alte Inbound Modell nicht einfach mit ein paar Optimierungen zu retten ist. Wer weiter versucht, ein überholtes System ein bisschen schneller oder ein bisschen hübscher zu machen, verliert vor allem Zeit und Budget. Der erste Schritt ist also eher ein mentaler: zu sagen „Okay, die Spielregeln haben sich geändert, wir passen unser Modell an, nicht nur unsere Kampagnen.“
Dann lohnt es sich, klein, aber konsequent anzufangen. Lieber ein klar abgegrenztes Segment, eine Zielgruppe oder ein Angebot auswählen und dort einen neuen Ansatz testen, als die komplette Maschine auf einmal umbauen zu wollen. Wenn man für so einen Bereich sauber misst, was wirklich zu guten Gesprächen und Deals führt, entstehen schnell Learnings, die man auf den Rest übertragen kann.
Und schliesslich würden wir raten, Marketing und Vertrieb noch enger zusammenzubringen, als es heute oft der Fall ist. Gemeinsame Ziele, gemeinsame Daten und ein gemeinsames Verständnis der Customer Journey sind am Ende wichtiger als der nächste Trendkanal. In einer Welt, in der sich Kundinnen und Kunden permanent informieren und vergleichen, gewinnen die Teams, die gemeinsam lernen und ihr System kontinuierlich weiterentwickeln.
Wie kann die W4 KMU ganz konkret dabei unterstützen, ihren Marketingansatz weiterzuentwickeln?
Wir helfen Unternehmen dabei, ihr Marketing wieder so aufzubauen, dass es im Alltag funktioniert. Am Anfang setzen wir uns mit euch zusammen und klären, was ihr erreichen wollt, wen ihr ansprechen möchtet und welche Werkzeuge und Daten heute schon da sind, zum Beispiel in HubSpot. Dann schauen wir uns eure laufenden Aktivitäten an und trennen sauber: Was bringt tatsächlich Anfragen und Gespräche, was kostet nur Zeit, was fehlt ganz.
Darauf aufbauend richten wir gemeinsam eine einfache, nachvollziehbare Arbeitsweise ein. Also klare Schritte vom ersten Kontakt bis zum Gespräch, ein sinnvoll eingerichtetes HubSpot mit ein paar Automatismen, die euch Arbeit abnehmen, und Auswertungen, die ihr selbst verstehen und nutzen könnt. Ziel ist, dass ihr am Ende kein Dauerprojekt mit uns habt, sondern ein Marketing, das euch wieder regelmässig passende Anfragen bringt.








